AUTONOM  Technisches Assistenz System
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NZZ Monatsarchiv
Neue Zürcher Zeitung FORSCHUNG UND TECHNIK Mittwoch, 16.07.1997 Nr. 162 15

Mehr Selbständigkeit für Behinderte

Elektronik ersetzt fehlende Körpermotorik

Ein an der Technischen Universität in Wien neuentwickeltes Computerprogramm ermöglicht es körper- und mehrfachbehinderten Menschen, Haushaltsgeräte zu bedienen. Personen mit Sprechproblemen kann es die Stimme ersetzen. Doch das Ziel ist nicht, menschliche Betreuung durch Elektronik auszutauschen, sondern Behinderten die Erfahrung von Selbständigkeit zu vermitteln und Betreuer von Routinearbeiten zu entlasten.

Das Licht ausschalten, das Fenster öffnen oder den Fernseher einschalten, und zwar ohne Hilfe und dann, wenn man es selber will, dies ist nun auch körperbehinderten Menschen möglich. Die Forschungsgruppe für Rehabilitationstechnik der Technischen Universität Wien (fortec) hat unter der Leitung von Christian Flachberger und Paul Panek ein Computersystem entwickelt, das als Schnittstelle zwischen Mensch und allen erdenklichen technischen Einrichtungen einer Wohnung fungiert. Seit einiger Zeit wird das «Autonom» genannte System im Förderzentrum Elisabethinum in Tirol in einem eigens dafür eingerichteten Wohnraum von behinderten Jugendlichen ausprobiert. Im Laufe des Jahres 1997 soll in Zusammenarbeit mit einer Softwarefirma ein kommerziell erhältliches Modell auf den Markt gebracht werden.

Ein elektronischer Assistent

Bisher waren Behinderte auf das Einfühlungsvermögen der Betreuer angewiesen, die gewisse Körpersignale erahnen oder richtig deuten mussten, um die Wünsche der behinderten Person zu erkennen. Nun können Behinderte mit Hilfe von «Autonom» ihre Wünsche selbständig in die Tat umsetzen. Die Fortec-Forscher entwickelten dafür ein umfangreiches Softwarepaket, welches IBM- kompatibel ist und unter MS-Windows läuft. Die Befehle geben die Benutzer mit behindertengerechten Spezialsensoren ein, die über ein ebenfalls von Fortec-Mitarbeitern entwickeltes Zusatzmodul an den Computer angeschlossen werden. Als Sensoren stehen unter anderem eine normale Computermaus, ein Wärmesensor, ein Stirnrunzelsensor oder ein Blasröhrchen zur Verfügung. Ein mit der Autonom-Software versehener Computer kann Infrarotsignale aussenden und so mit Empfängern ausgestattete Türen, Lampen oder eine Stereoanlage steuern. Im konkreten Fall sieht das dann so aus: Eine Betreuerin schaltet den Computer ein und wählt das entsprechende Programm an. Nun erscheint ein Fenster mit mehreren Symbolen verschiedener Haushaltsgeräte. Ein leuchtend roter Rahmen wandert von einem Symbol zum nächsten, dabei kann die Verweildauer individuell eingestellt werden. Steht der Rahmen auf dem von dem Behinderten gewünschten Symbol, so runzelt er oder sie die Stirn oder neigt den Kopf zum Wärmesensor hin und gibt dadurch dem Computer den Befehl, das ausgewählte Gerät anzufunken und somit an- oder auszuschalten. Da natürlich nicht Gerätesymbole für sämtliche Einrichtungsgegenstände eines Zimmers auf einem Bildschirm Platz haben, kann durch Anwahl eines Pfeils das Computerfenster gewechselt werden. Zusätzlich kann man auch einen Ton oder sogar ein paar Takte Musik mit dem jeweiligen Bild kombinieren, so dass auch sehbehinderte Menschen das System verwenden können. Autonom kann aber noch mehr als nur Geräte bedienen. Ein anderes Menu ermöglicht den Anwendern, mit ihrer Umgebung zu kommunizieren. Diesmal wandert der Rahmen über Symbole, die beispielsweise eine Sonne, ein lachendes oder ein weinendes Gesicht zeigen. Nach Auswahl des Bildes per Sensor ertönt eine Computerstimme und wünscht einen guten Tag oder teilt die Stimmung des Anwenders mit. In diesem Fall ersetzt der Computer dem Behinderten die Stimme. Ein drittes Beispiel ist das Buchstabenprogramm. Auf dem Bildschirm sind sämtliche Buchstaben des Alphabets abgebildet, der rote Rahmen wandert langsam von A bis Z. Über den Sensor wählt man die gewünschten Buchstaben aus, und ein weiteres Symbol fungiert als Stoppsignal. So bildet der Anwender Wörter und ganze Sätze. An den Computer kann natürlich auch ein Drucker angehängt werden, behinderte Autonom-Benutzer können so selbständig Briefe schreiben.

Einfache und flexible Anwendung

Die Haupteigenschaft des Autonomsystems ist seine ungeheure Flexibilität. So können zu jedem Programm mit wenigen Mausklicks neue Symbole hinzugefügt und diese wahlweise mit Text oder Musik kombiniert werden. Auch neue Sensoren kann man über die spezielle Schnittstelle ohne Probleme an den Computer anhängen. Bei der Auswahl der zu bedienenden Geräte sind der Phantasie keine Grenzen gesetzt. Im Elisabethinum spielen behinderte Kinder mit Hilfe von «Autonom» mit einer elektrischen Eisenbahn oder mit Baukränen. Auch ein normaler PC kann angekoppelt werden, der Computer mit dem Autonom-Programm wird dann sozusagen als Maus verwendet und dient zum An- oder Ausschalten und zum Anklicken der Spielfelder. Die Kinder sind somit in der Lage, Computerspiele oder Lernprogramme durchzuführen. Wie Panek erläuterte, sei man besonders stolz darauf, dass es zur individuellen Anpassung des Systems an den jeweiligen Benutzer nicht eines Informatikexperten bedürfe, sondern dass nach einer kurzen Schulung Betreuer in einem Heim oder Eltern das jeweilige Programm gezielt verändern könnten. Im Elisabethinum ist nur ein Computerfachmann für die ständige Wartung zuständig. Alle sechs Monate schauen die Erfinder selber vorbei und erkundigen sich nach neuen Wünschen der Autonom-Benutzer. Laut Panek nimmt das Team solche Anregungen auf, im Augenblick wird ein Programm zur Verwendung von E-Mail erarbeitet, damit ein behindertes Kind seiner Freundin in Griechenland völlig selbständig Briefe schreiben kann. Die Mitbegründer der Fortec-Gruppe betonen, dass sie mit der Elektronik nicht den Menschen als Betreuer ersetzen wollen. Dieser werde jedoch von Routinearbeiten entlastet und habe somit mehr Zeit für Gespräche oder Spiele.

Stephanie Lahrtz

Für weitere Informationen steht die Fortec-Arbeitsgruppe unter der Adresse Gusshausstrasse 27/366-1B, A-1040 Wien, e-mail: pp@fortec.tuwien.ac.at, zur Verfügung.

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